Steven Uhly zieht den Lesern seines neuen Romans „Den blinden Göttern“ den Boden unter den Füßen weg. Aus einem literarischen Vexierspiel wird ein Psychothriller. Der Autor mache die irrwitzigsten Kapriolen und Dreistigkeiten glaubhaft, findet unser Rezensent Andreas Platthaus, weil sie aus der Sicht seines Helden jeweils konsequent sind: „Immer mehr wird der Weißraum in dessen Träumen ausgefüllt mit Szenen, die in ihm einen Psychiatriepatienten vermuten lassen, aber 'Den blinden Göttern' lässt sich auch nicht auf diese Deutung reduzieren. Zumal das Buch großes komisches Potential hat.“. Mehr als viertausend Verse voller Kraft und Sinnesfreude: John Keats’ Gedicht „Endymion“ erstmals auf Deutsch und fabelhaft übersetzt. „Wenn’s der Schönheitsfindung diente, fand Keats, ist alles erlaubt, weil ihr Medium, die Dichtung, Traum und Rausch verwandt ist“, erläutert unser Rezensent Jürgen Kaube: „Von seiner Verserzählung ist es nicht weit zu 'Lucy in the Sky with Diamonds'. Der Klang des Namens, so Keats ganz am Anfang, habe ihn zu Endymion geführt. Folgerichtig bewegt sich das Gedicht oft von Ton zu Ton mehr als von Sinn zu Sinn. Es gehört zur Romantik, der Musik die Führung unter allen Künsten einzuräumen.“. Die wahre Heldentruppe der Geschichte besteht aus Getier. Jan Wagner bedichtet es und viele weitere seiner Heroen in „Die Live Butterfly Show“. „Wer blüht, wenn ein Gedicht aufblüht?“, fragt unsere Rezensentin Angelika Overath: „Das Sujet? Der Autor? Wer ist Schmetterling, wer Blume? Nährt sich der Dichter an den Dingen, die er mit radikalem Blick noch einmal neu sieht? Oder kommen die Dinge erst durch den Dichter zu sich als Bild und Klang und Sinn? In seiner Sprache gewinnen sie eine schillernde Dauer, die tröstet, weil sie, wie die Evidenz eines Stilllebens, uns versichern darf: zu sein.“. Eine verrückte Suada mit der Wut von Allen Ginsbergs „Howl“ und dem Witz tagesaktueller Stand-up-Comedy: In Paul Beattys Satire „Der Verräter“ will ein schwarzer Erzähler die Sklaverei wieder einführen, um Amerika aufzurütteln. „Selbst wenn man alle unkorrekten Witze aller berüchtigten amerikanischen Comedians zusammennimmt, wird man nicht annähernd die Dichte erreichen, die Paul Beattys Roman 'Der Verräter' aufbietet„, schreibt unser Rezensent Jan Wiele. „Wenn man so will, ist das Buch eine Dauerprovokation, allerdings im Gegensatz zu mancher Stand-up-Comedy keine schnell verpuffende, sondern eine lang nachwirkende.“. Zoltán Danyi und Goran Vojnović blicken zurück auf die Jugoslawien-Kriege der Neunziger. Ihre Romane lassen befürchten, dass die Ereignisse noch lange nachwirken werden. In beiden stehe, erläutert unser Rezensent Tilman Spreckelsen, nicht das Kriegsgeschehen selbst im Vordergrund, sondern der Versuch, danach ein ziviles Leben wiederaufzunehmen, und die Frage, wie sich der Einzelne und wie sich die Gesellschaft der Vergangenheit stellen sollte. „Während in Vojnovićs Roman die Familie alles ist, im Guten wie im Schlechten, stolpern in Danyis Buch die Protagonisten allein durch die Welt, von Eltern oder gar Kindern ist so gut wie nicht die Rede. Vor allem aber beschreiben diese beiden so unterschiedlichen Romane, welch ein Unglück für viele Protagonisten der Zerfall Jugoslawiens bedeutet.“. Die französische Autorin Annie Ernaux setzt mit „Erinnerung eines Mädchens“ ihre literarischen Tiefenbohrungen in die Geschichte fort. Dabei trenne die 1940 geborene Französin entschieden das „sie“ von damals und das „ich“ von heute, schreibt unsere Rezensentin Sandra Kegel, „um bei der Darstellung der Ereignisse bis zum Äußersten zu gehen; ganz so, als würde ein Fremder über sie schreiben. Denn erst, wenn sie sich von außen betrachtet, kann sie zugleich die Einflüsse durch Familie, Politik und Gesellschaft sichtbar machen. Weil das Ich hier kein auf Kausalität beruhendes Kontinuum darstellt, sondern ein in seinen Brüchen ganz wesentlich von außen geprägtes Sein. In dieser mit rücksichtsloser Stringenz verfolgten Verschmelzung der Innen- und Außenperspektive liegt die literarische Eigenart und die Meisterschaft der Autorin.“. Kommissar Maigret wird numeriert, Kollege G7 entdeckt: Zwei Verlage zelebrieren die Rückkehr von Georges Simenon auf den deutschen Buchmarkt. Der Sohn des Schriftstellers, John Simenons, hatte sich über mangelnde Verfügbarkeit im deutschen Buchhandel beklagt, berichtet unser Rezensent Jürg Altwegg: „Der ganze Maigret endlich lieferbar“, stehe enstprechend im vierzig Seiten starken Katalog zur Edition: „Der ganze Simenon“. „Hoffentlich ist mit 'ganz' nicht notwendig 'alles' gemeint“, schreibt Altwegg: „Der geniale Georges Simenon hat auch Schrott produziert.“. Ein Lehrstück übers Sprechen in der Sprachlosigkeit: Wolf Haas fischt mit seinem Roman „Junger Mann“ in tiefen Gewässern der Phantasie. Für unsere Rezensentin Rose-Maria Gropp ist Wolf Haas „ein Sprach-Spieler in seiner eigenen Liga, und das beweist er aufs Neue mit 'Junger Mann'. So etwas kann sich unmöglich lässig hingeschrieben haben, um federleicht beim Leser anzukommen, so etwas muss Schweiß und Tränen gekostet haben (welch letztere, zugegeben, beim Lesen fließen können, solche des Lachens und ein bisschen Weinens, nennen wir das Rührung, diese alte gute Tugend).“.